Interview mit Noëmi Allemann

Noëmi Allemann ist 35 Jahre alt und Mutter zweier Kinder im Alter von vier und sieben Jahren. Sie arbeitet zu 60 Prozent als Oberärztin auf der Gynäkologie am Inselspital Bern. Zusätzlich ist sie seit 2022 als Dienstplanberaterin für den VSAO Bern tätig. Sie hat das Amt von ihrer Vorgängerin Anna Meister übernommen, die als erste Dienstplanberaterin des VSAO Bern seit 2018 im Amt war. Schweizweit wurde das System der Dienstplanberatung durch den VSAO von PD Dr. med. Philipp Rahm in den letzten 15 Jahren aufgebaut.

07.11.2023

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Warum braucht es dich als Dienstplanerin bei VSAO und was genau bietet ihr Spitälern an?
Es geht in der Regel darum, den Dienstplan so zu gestalten, dass er rechtskonform und gut für die Gesundheit der Mitarbeitenden ist. Das ist unter Umständen gar nicht so einfach, da viele unterschiedliche Interessen bestehen. So ist es zum Beispiel in einem kleinen Team mit nur 8 Mitarbeitenden, die 24/7 abdecken müssen, eine grosse Herausforderung, die Schichten gesetzeskonform zu planen. Häufig braucht es mehr Stellenprozent oder man muss Kompromisse finden, um das Team zu entlasten.
In der heutigen Zeit mit der hohen Nachfrage an Teilzeitarbeit, mit immer mehr Müttern und Vätern in unserem Beruf und Menschen, die neben der Arbeit noch Angehörige pflegen oder intensiven Hobbys nachgehen, wird eine ausgeglichene Dienstplanung immer wichtiger werden.

Warum bist du Dienstplanerin geworden?
Bei meinem Start im Inselspital wurde mir bewusst, wie viel man bei der Dienstplanung für ein grösseres Team falsch machen kann – und wie viel Unzufriedenheit das auslöst. Ein guter Dienstplan ist eine Kunst, die sich merklich auf die Stimmung im Team auswirkt. Mir gefällt ausserdem, dass ich konkrete Hilfestellungen für Probleme bieten kann. Und ich kann den VSAO, unsere Aufgaben und Angebote präsenter machen. Das ist sehr zufriedenstellend.
Häufig fehlt den Dienstplanern auch ein Basiswissen. Das Erstellen eines Dienstplanes ist ja nicht teil der ärztlichen Ausbildung. Häufig wird der Job irgendwann von jemandem übernommen und einfach gemacht.

Wer wendet sich an dich und wie läuft die Kontaktaufnahme?
Momentan kommen viele Anfragen direkt von Assistenzärzt:innen, die wegen der herausfordernden Arbeitszeiten sehr erschöpft sind. Meistens steht am Anfang eine konkrete Frage, zum Beispiel: “Sind sieben Nachtdienste in Folge eigentlich erlaubt?” oder “Wird uns genügend Kompensation eingeplant?“ Wir nehmen mit den Betreffenden telefonisch Kontakt auf und arbeiten eine übergeordnete Fragestellung heraus. Diese können zum Beispiel lauten: Werden die Ruhezeiten eingehalten? Ist eine ausgeglichenere Dienstplanung möglich? Besteht ein zusätzlicher Stellenbedarf?
Oft haben wir es mit Planungsfehlern zu tun, da wie bereits erwähnt keine Grundkenntnisse über Dienstplaung vorhanden sind. Daraus kann dann ein Fall wie dieser entstehen: Auf einer chirurgischen Station startet der Morgenrapport – und somit auch der offizielle Dienst – um 7:30 Uhr. Alle Assistenzärzt:innen sind aber schon um 6:45 Uhr da, weil vor dem Rapport noch die Station besucht werden muss. Dabei handelt es sich dann um sogenannte „versteckte Arbeit“. Wir können durch Wissensvermittlung solche Planungsfehler vermeiden.

Wie geht ihr dann vor?
Wir machen eine Analyse des „Jetzt“-Zustandes. Dazu benötigen wir einen anonymisierten PEP-Auszug. Diesen beurteilen wir nach den Grundregeln des Arbeitsgesetz und überprüfen, ob die hinterlegten Dienstzeiten mit den tatsächlichen Arbeitszeiten übereinstimmen. Zusätzlich ist es hilfreich die Zeitausweise zur Verfügung zu haben, um die effektive Arbeitszeit mit der geplanten vergleichen zu können. Dabei zeigt sich zum Beispiel, wenn ein bestimmter Dienst immer länger dauert, als hinterlegt. Diese Dienste können dann gezielt Umstrukturiert werden. So kann Überzeit verhindert, respektive reduziert werden.
Eine wichtige Voraussetzung dafür ist natürlich, dass die effektiven Arbeitszeiten korrekt gestempelt wurden.
Am Schluss formulieren wir dann eine Stellungnahme. Wie es dann weitergeht, hängt davon ab, was die Anfragenden wollen: Manche möchten das Dokument nur für sich, andere reichen es an die Vorgesetzten oder ans HR weiter.
Leider werden auch immer wieder Anfragen zurückgezogen, weil der Rückhalt im Team fehlt. Es gibt Ängste, dass die Anfragen als Auflehnung gegen die Vorgesetzten wahrgenommen werden könnten. Noch ist das Wissen um unser Angebot und um den Mehrwert begrenzt – das müssen wir ändern.

Und wenn die Stellungnahme weitergeleitet wird?
Idealerweise setzen wir uns dann mit allen Beteiligten zu einem runden Tisch zusammen. Die Vorgesetzten reagieren im ersten Moment oft ablehnend, weil das Team nicht direkt auf sie zugekommen ist. In der Regel sind sie dann aber gerne bereit, teilzunehmen, denn so bekommen auch sie die Möglichkeit, ihre Position darzustellen. In einer gemeinsamen Sitzung können die Problemfelder auf eine sachliche Ebene geholt werden. Am Ende findet sich dann oft eine gemeinsame Linie. Bei Bedarf kann man uns im weiteren Verlauf nochmals beiziehen und überprüfen, ob sich das neue Modell bewährt.

Wie fallen die Rückmeldungen zu solchen Gesprächen aus?
Die Rückmeldungen zu den Rundtischgesprächen waren bis jetzt immer positiv, vor allem auch deshalb, weil die Probleme dann endlich mal offen auf dem Tisch liegen und Veränderungen angegangen werden.
Es ist aber auch schon vorgekommen, dass wir gemeinsam den Dienstplan nach AZG optimiert haben und die Assistent:innen im Nachhinein etwas unzufrieden waren. Statt bisher sieben Tage am Stück plus sieben Tage Kompensation wurden sie neu in Blöcke von drei oder vier Nächten eingeteilt und hatten danach entsprechend weniger Kompensation.

Was verändert ihr konkret? Ihr könnt ja auch keine neuen Stellen herzaubern.
Was wir anbieten können, ist ein alternatives Dienstplanmodell. Oder wir können anhand der geleisteten Stunden schauen, welche Dienste viel Überzeiten generieren – wo man also den Betroffenen Unterstützung bieten muss. Manchmal stellt man auch fest, dass der Dienstplan mit den vorhandenen Stellenprozenten nicht nach AZG abgedeckt werden kann – dann ist eine neue Stellenplanberechnung nötig. Das ist ein hilfreiches Argumentarium für eine zusätzliche Stelle.

Wie gehst du vor, wenn das AZG nicht eingehalten wird?
Wir trennen die Dienstplanberatung bewusst von rechtlichen Fragen. Unsere Aufgabe ist rein beratend und nicht kontrollierend. Niemand soll Angst vor rechtlichen Konsequenzen haben. Unser Ziel ist es, die Betroffenen über ihre arbeitsrechtliche Situation zu informieren und ihnen gegenüber den Vorgesetzten den Rücken zu stärken. Oft hilft schon die Bestätigung, dass der bisherige Dienstplan tatsächlich nicht korrekt ist. Wir können bestätigen „Ja, wenn ihr wollt, dürft ihr euch wehren!“ Wenn ein Team das Thema weiterziehen will, begleiten und unterstützen wir den Prozess gerne, bis eine gute Lösung für alle gefunden ist. Gerne Unterstützen wir auch Klinikdirektoren oder Spitaldirektionen bei der Ausarbeitung von zufriedenstellenden Dienstplanlösungen.
Was wir nicht bieten ist, die Unzufriedenheiten einzelner auf höherer Ebene zu klären. Dafür braucht es juristische Unterstützung, zum Beispiel über das MEBEKO.

Wie steht es mit der Umsetzbarkeit von Teilzeitarbeit im stationären Bereich?
Es kommt sehr auf die Abteilung an. Auf dem Notfall beispielsweise, wo sowieso alle Schicht arbeiten, ist Teilzeit einfach umzusetzen – falls genügend Stellenprozente vorhanden sind. Auf der Station gibt es oft einen Interessenskonflikt, da auch eine möglichst hohe Kontinuität gewünscht ist.. Mit Teilzeitarbeitenden ist das natürlich eine grosse Herausforderung: Wie schafft man eine möglichst grosse Kontinuität? Hier braucht es die Bereitschaft, Neues auszuprobieren. Teilzeit ist immer auch eine Chance, sie macht Teams flexibler.
Teilzeitarbeit ist also im ersten Moment aufwändiger, aber nicht unlösbar. Hier kann die Dienstplan-Beratung inspirieren und Alternativen aufzeigen. Da Teilzeitarbeit immer mehr gefragt ist, ist die Bereitschaft auf der planerischen Seite schon da, etwas zu verändern.

Du hast eure Dienstplanungsworkshops angesprochen. Wie läuft das ab?
Der Kurs ist für ca. 20 Personen konzipiert und für alle gedacht, die Dienstpläne machen, vor allem aber natürlich für Assistenz- und Oberärzt:innen. Wir besprechen Grundlagen aus dem Arbeitszeitgesetz, dem Gesundheitsschutz und die wichtigsten Regeln für die Dienstplanung wie das Einhalten von Ruhezeiten, Frei-Tage einplanen und so weiter. Am Ende kommen in der Regel viele individuelle Anfragen. Das zeigt, dass die Planenden es wirklich besser machen wollen. Deshalb gibt es bald einen Aufbau-Workshop, in dem wir individuelle Problemstellungen besprechen. Die Teilnahme am Workshop ist übrigens kostenlos.

Was können die Spitäler von sich aus tun?
Wie gesagt fehlen vielen Dienstplaner:innen die Ausbildung und das Wissen um bestimmte Tipps und Tricks. Dienstplanung ist etwas sehr Aufwändiges. Man will ja möglichst alle Wünsche und Bedürfnisse berücksichtigen. Unsere Workshops können hier ein Grundwissen vermitteln. Aufgrund von Fachkräftemangel und Generationenwechsel kommen herausfordernde Zeiten auf uns zu. Die Dienstplanberatung kann helfen, Brücken zu schaffen und konstruktive Lösungen zu entwickeln. In Zukunft werden wohl auch digitale Tools immer wichtiger werden.

Das Interview wurde am 18.3.23 geführt von Nora Höger, Kommunikationsverantwortliche VSAO Bern.

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