Interview mit Katrin Feller

Katrin Feller ist Endokrinologin und arbeitet in einer eigenen Praxis. Sie ist 39 Jahre alt, Mutter von zwei Kindern und zum Zeitpunkt des Interviews in der 37. SSW mit dem dritten Kind.

23.02.2023

Barbara Schwede

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Wann hast du dich für ein Studium der Medizin entschieden und warum?
Mein Weg zum Medizinstudium war nicht so geradlinig, wie es vielleicht im Rückblick aussieht. Obwohl ich mich nämlich immer für Medizin interessiert habe, habe ich mich nach der Matura zuerst für ein Studium der Geschichte, Geografie und Politologie eingeschrieben, dann aber nach kurzer Zeit zu den Rechtswissenschaften gewechselt. Erst nach zwei Jahren Jus-Studium ist mir klar geworden, dass ich doch Ärztin werden möchte, und ich habe ins Medizinstudium gewechselt. Ausschlaggebend für den Berufswunsch Ärztin war schon primär der Wunsch, einer sinnstiftenden Tätigkeit nachgehen und anderen Menschen helfen zu können. Auch haben mich Menschen und ihre Geschichten immer sehr interessiert und ich erachte auch heute noch das Zuhörenkönnen und das Vertrauen, das mir als Ärztin entgegengebracht wird, als grosses Privileg.

Wie hast du dich für dein Fach entschieden?
Im Gegensatz zu den Umwegen, die ich bei der Studienwahl genommen habe, war für mich die Wahl für die Endokrinologie schon sehr früh klar. Schon im zweiten Studienjahr hat mich die Physiologie der Hormone fasziniert. Dass so winzige Botenstoffe auf so ziemlich all unsere Lebensbereiche einen Einfluss haben, uns vom Kind zum Erwachsenen oder vom Mädchen zur Frau, vom Jungen zum Mann werden lassen, unsere Herzfrequenz, die Verdauung, aber auch die Psyche massgeblich beeinflussen – das hat mich von Anfang an total gepackt.

Während des dritten Studienjahres bin ich nach Chicago gegangen und habe meine Doktorarbeit im Fachgebiet der Endokrinologie gemacht. Es war im Bereich «Basic Research» – ich habe mich mit dem Thyreoglobulin auseinandergesetzt – und auch dieses Eintauchen in die Basisforschung fand ich sehr bereichernd. In der klinischen Endokrinologie gefällt mir, dass man trotz Spezialisierung den Menschen als Ganzes nicht aus den Augen verliert. Und dass man mit kleinen Änderungen – einen Mangel an Hormonen ersetzen, ein Zuviel an Hormonen blockieren – so viel erreichen kann. Wir haben oft sehr dankbare Patient:innen, das ist natürlich sehr schön.

Wie hast du deine Stellen geplant?
Wichtig dünkt mich eine Kombination aus Planung und Flexibilität. Wenn es einen in eine bestimmte Richtung zieht, dann sollte man die Weichen frühzeitig stellen – beispielsweise mit einer Dissertation in dem entsprechenden Fachgebiet. Genauso wichtig ist es aber auch, auf Ungeplantes flexibel reagieren zu können.

Neben meiner Dissertation auf der Endokrinologie war für mich die Endokrinologie-Rotation, welche ich als Assistenzärztin Innere Medizin im Inselspital machen durfte, sicher ein Türöffner. Ein Jahr später konnte ich dann die Facharztausbildung starten, hier hatte ich Glück, dass gerade eine Stelle frei geworden war.

Wie geht es dir mit der Teilzeitarbeit? Wie sieht deine Work-Life-Balance aus?
Ich arbeite wirklich gerne und finde die Sprechstundentätigkeit nach wie vor sehr spannend und bereichernd – das hilft mir, effizient, belastbar und im Gleichgewicht zu bleiben. Je nach Lebenssituation muss ich meine Work-Life-Balance aber immer wieder neu definieren und austarieren. Ich bin seit einem halben Jahr selbstständig. Diese Autonomie über meine Agenda und meinen Workload gibt mir viel Flexibilität und Gestaltungsspielraum. Es ist einfacher, viel zu arbeiten, wenn man sich die Arbeit selbst einteilen kann und diese gerne ausübt. Momentan bin ich drei ganze Tage in der Praxis und mache zusätzlich noch administrative Arbeiten von zu Hause aus. An drei Halbtagen pro Woche bin ich zu Hause und verbringe Zeit mit meinen Kindern. Dafür gehe ich halt ab und zu auch an einem Samstagmorgen in die Praxis, um Dinge zu erledigen. Bewegung und Musik – ich spiele Violine in einem Kammerensemble – sorgen für einen guten Ausgleich.

Wie bringt ihr als Familie alles unter einen Hut?
Ich bringe gar nicht immer alles unter einen Hut – manchmal bleiben die Dinge eben liegen, manchmal sieht es zu Hause auch chaotisch aus. Ich finde, man muss Prioritäten setzen und sich unterstützen lassen, zum Beispiel Hilfe von den Grosseltern bei der Betreuung der Kinder annehmen. Mein Mann arbeitet in einem 20-Prozent-Pensum auswärts und übernimmt ansonsten den Grossteil der Hausarbeit und Kinderbetreuung. Das hält mir natürlich den Rücken frei und ich kann beispielsweise meine Sprechstunden auch dann machen, wenn ein Kind krank ist. Durch meine drei Halbtage zu Hause haben wir viel Familienzeit, was mir in der aktuellen Phase, wo die Kinder noch so klein sind, sehr wichtig ist und was ich sehr geniesse. Auch ein kurzer Arbeitsweg ist mir wichtig. Wenn ich lange Sprechstundentage habe, kann ich diese durch einen Mittag zu Hause mit meiner Familie unterbrechen, was für alle ein schöner Ausgleich ist.

Wie ist das bei dir mit der maximalen Soll-Arbeitszeit? Kannst du diese einhalten?
Die Frage stellt sich nicht mehr wirklich, da ich nun als Selbstständige in meiner Praxis arbeite und somit meine eigene Chefin bin. Umso wichtiger finde ich die Achtsamkeit mir selbst gegenüber, die «Self-Awareness». Gut auf sich hören, seine Belastungsgrenzen kennen, Pausen machen, auch mal Nein sagen zu können – alles Dinge, die einem helfen, mit sich selbst, der Arbeit und der Familie im Gleichgewicht zu bleiben.

Würdest du, wenn du zurückschaust, in Bezug auf Berufswahl und Karriereplanung wieder die gleichen Entscheidungen treffen?
Das ist eine schwierige Frage. Vieles ist nicht so planbar, wie es suggeriert wird. Ich hätte mir auch eine Spitalkarriere vorstellen können oder eine Habilitation im Bereich der Medical Education, wo ich während meiner Zeit als Oberärztin auf der Endokrinologie noch den Master gemacht habe. Wenn ich aber jetzt auf meine Familie und die Selbstständigkeit in einer Gemeinschaftspraxis für Endokrinologie schaue, fühle ich mich sehr erfüllt und dankbar und würde wieder die gleichen Entscheidungen treffen. Vieles hat sich aber auch so gefügt und war einfach Glück. Ich denke, wenn man neue Schritte plant, wie einen zweiten Facharzttitel oder eine Selbstständigkeit, braucht das immer Mut und Zuversicht – es gibt ja keine Garantien, dass alles so kommt, wie man sich das ausmalt. Mit der nötigen Flexibilität auf Ungeplantes reagieren zu können, hat mir dabei geholfen, neue Wege zu gehen, und das Wissen, dass ich Unversuchtes mehr bereuen würde als Schritte und Entscheidungen, die ich trotz der Ungewissheit gewagt habe.

Worüber sollten deine jüngeren Kolleg:innen früher nachdenken?
Wenn man ein klares Ziel, einen bestimmten Facharzttitel vor Augen hat, hilft es, wenn man sich von Anfang an gut positioniert, durch entsprechende Rotationen oder vielleicht durch die Dissertation einen «Fuss in die Türe» bekommt, Leute kennenlernt, sich ein Netzwerk aufbaut. Gleichzeitig sollte man immer flexibel genug bleiben, um vom geplanten Weg abzuweichen, wenn dieser – aus welchen Gründen auch immer – nicht mehr stimmig ist. Sehr wichtig finde ich auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, falls die Gründung einer Familie ein Wunsch ist. Man sollte frühzeitig mit dem Partner besprechen, wer wie viel von der anfallenden Care- und Haushaltsarbeit übernehmen wird, und Teilzeitstellen sollten für beide Elternteile möglich sein. Wer mehr Gestaltungsfreiraum und Autonomie haben will, sollte auch über eine eigene Praxis nachdenken. Selbst wenn man viel arbeitet, wird es einfacher, wenn man seine eigene Chefin ist und sich die Arbeit selbst einteilen kann.

Wo siehst du dich in zehn Jahren?
Ich hoffe, dass ich auch in zehn Jahren noch voller Begeisterung für meinen Beruf zusammen mit meinen Kolleginnen in unserer eben erst gegründeten Gemeinschaftspraxis «Endokrinologie im Zentrum» arbeiten kann. Eventuell kann ich, wenn unsere drei Kinder etwas grösser sind, auch wieder etwas im Bereich der Medical Education machen, das würde mich sehr freuen.

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