Interview mit Fabio Barattiero

Fabio Barattiero (34) lebt mit seiner Partnerin und ihren zwölf Monate alten Zwillingen zusammen. Er ist Oberarzt Anästhesie und beginnt im März 2022 ein Fellowship in der Herzgefäss-Anästhesie.

17.02.2022

Eveline Tissot

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Was gefällt dir an der Medizin?
Ich war immer sehr naturwissenschaftlich orientiert, habe mich aber erst spät für eine Studienrichtung entschieden. Am Gymnasium hat mir Biochemie sehr gut gefallen, auch der menschliche Körper und die Pathophysiologie haben mich immer sehr interessiert. Wenn man sonst in eine naturwissenschaftliche Richtung geht, landet man meist im Labor oder wird Consultant in der Industrie. Humanmedizin ist dagegen sehr praktisch und abwechslungsreich. Trotzdem gibt es viele Optionen und auch ausserhalb der Klinik ist eine Karriere möglich.

Meist weiss man ja zu Beginn des Medizinstudiums noch nicht, welchen Facharzt man machen möchte – die Medizin ist ein breites Feld mit vielen unterschiedlichen Möglichkeiten. Das fand ich sehr ansprechend. Der Aspekt, viel mit Menschen zu tun zu haben, ist sehr schön, auch wenn das für mich als Anästhesist weniger im Fokus steht – wir haben ja längst nicht so intensiven Patientenkontakt wie andere Fächer. Auf der Intensivstation ist der Kontakt zu den Patient:innen sehr ausgeprägt. Man begleitet Menschen durch eine intensive Lebensspanne und hofft mit ihnen auf Besserung – das ist etwas Schönes.

Die Herzgefäss-Anästhesie hat mich seit Beginn meiner Tätigkeit als Anästhesist sehr fasziniert – einerseits die hochkomplexe Anästhesie bei einer Herz- beziehungsweise Gefässoperation durchzuführen und andererseits die ständige Evaluation mittels der transösophagealen Echokardiografie.

Welchen Facharzttitel wolltest du während des Studiums wählen? Was hat dir bei der Entscheidung geholfen?
Die meisten Studierenden haben ja eine vage Idee, was sie werden wollen, aber eigentlich hat man noch keine Ahnung, wie der Alltag in den verschiedenen Abteilungen aussieht. Klar war mir, dass mir die Innere Medizin zu dokumentationslastig ist. Ausserdem wollte ich gerne in kurzer Zeit mehr Einfluss haben, als es in den Fächern der Inneren Medizin meist möglich ist.

Zu Beginn konnte ich mir eine Zukunft als Chirurg vorstellen. Meine Doktorarbeit habe ich zu einem Thema in der Orthopädie geschrieben. Doch durch die Doktorarbeit und im Verlauf der Praktika habe ich realisiert, dass meine Vorstellung von der Chirurgie leider nicht der Realität entsprach. Auch der eher langsame Fortschritt in die chirurgische Selbstständigkeit hat mir nicht zugesagt. Im Gegensatz dazu kann man in der Anästhesie schnell viel Verantwortung übernehmen und einen grossen Teil der Arbeitszeit manuell tätig sein. Mir gefällt vor allem diese Mischung aus theoretischem Wissen und der manuellen Tätigkeit. Ausserdem arbeiten wir mit vielen verschiedenen Fachrichtungen zusammen, was den Job sehr abwechslungsreich macht.

Bei meiner Entscheidungsfindung hat mir in erster Linie das Praktikum während des Wahlstudienjahres geholfen: Nach ein bis zwei Monaten kann man sich bereits ein gutes Bild davon machen, wie der Arbeitsalltag auf der Klinik abläuft und ob er einem entspricht.

Welches sind die besonderen Herausforderungen in der Anästhesie? Was sind besonders tolle Aspekte?
Der Job ist sehr abwechslungsreich. Man führt Narkosen in sehr unterschiedlichen Fachdisziplinen der Medizin durch. Dazu gehören auch die geburtshilfliche Anästhesie, die Anästhesie bei Kindern und präklinische Einsätze als Notarzt bei der REGA oder der Sanität. Sich immer wieder an die unterschiedlichen Bedingungen anzupassen und unter Zeitdruck zu arbeiten, gehört zum spannenden und herausfordernden Teil der Anästhesie.

Wie sieht dein typischer Tag aus?
In der Anästhesie im Operationssaal schauen wir am Vorabend oder am Morgen zusammen mit der Anästhesiepflege, welche Eingriffe oder Interventionen geplant sind. Ich lese mich in die Vorgeschichten der Patient:innen ein und entscheide, welche Narkose am sinnvollsten ist. Wenn die Patientin oder der Patient dann zu uns gebracht wird, legen wir die benötigten Zugänge und leiten die Narkose ein. Meistens wird eine Vollnarkose oder eine Regionalanästhesie durchgeführt. Anschliessend besteht unsere Aufgabe darin, die perioperative Betreuung des Patienten zu übernehmen. Dazu gehören die Beatmung, die Hämodynamik, die Blutgerinnung wie auch die Schmerzeinstellung. Nach der Operation werden die Patient:innen aus der Narkose geholt und zur weiteren Überwachung in den Aufwachraum oder eine andere Station verlegt.

Wie hast du deine Stellen geplant? Wie hast du dich informiert?
Als Staatsabgänger ging ich davon aus, es sei nicht ganz einfach, eine Stelle als Anästhesist zu finden. Deshalb habe mich an mehreren Spitälern beworben. Hatte ich einen guten Eindruck vom Vorstellungsgespräch und stimmte dieser mit den Erfahrungen von Bekannten überein, habe ich mich für diese Stelle entschieden.

Mein Zeugnis als Unterassistent war sicherlich hilfreich für meine Bewerbung in Aarau. Wenn man im entsprechenden Fach schon einmal gearbeitet hat, ist es einfacher, als wenn man sich ganz ohne Erfahrung bewirbt – gerade in der Anästhesie, da man nicht sehr viel Praxis aus dem Studium mitbringt. Es gibt meines Wissens sogar Spitäler, die nur Assistent:innen mit Erfahrung als Unterassistent:innen im entsprechenden Fachbereich anstellen oder die bereits als Unterassistent:innen an der Klinik tätig waren. Sich im Anschluss ans Wahlstudienjahr direkt dort zu bewerben, ist sicherlich eine der besten Optionen, vor allem wenn man sein Interesse auch bereits mitgeteilt hat.

Im Wahlstudienjahr lohnt es sich, Assistenzärzt:innen oder Oberärzt:innen zu fragen, welche Stellen sie empfehlen können. Unterassistent:innen haben meist wahnsinnig viel Respekt gegen oben – dabei sollte man eigentlich viel mehr fragen und sehr aktiv sein. Man kann zum Beispiel Fachärzt:innen oder Professor:innen eine E-Mail schreiben, ihnen erklären, wofür man sich interessiert und um Empfehlungen oder Tipps für die Karriere bitten. Die meisten freuen sich über eine motivierte Anfrage und helfen gerne weiter. Im schlimmsten Fall erhält man eben keine Antwort. Gerade im Studium hat man ja nahen Kontakt zu gut vernetzten Professor:innen, die man ansprechen kann, gerade auch, wenn man in die Forschung möchte. Sich ein Netzwerk aufzubauen und es zu nutzen, ist wichtig. Zusammengefasst: Je früher man weiss, was man machen will, desto besser.

Umso länger man dann als Assistenzarzt arbeitet, desto besser weiss man sich dann auch zu informieren und hat eine genauere Vorstellung von der nächsten Stelle. Damit und mit der zunehmenden Erfahrung, wird die Auswahl bei den nächsten Stellen immer einfacher. Auch das soziale Umfeld im Beruf nimmt natürlich zu und so können einem mehr und mehr Berufskolleg:innen weiterhelfen.

Für mich war immer klar, dass ich nach meiner Zeit am Kantonsspital Aarau in ein Universitätsspital wechseln wollte – diesen Erfahrungsschatz sollte ein Arzt oder eine Ärztin meiner Ansicht. Deshalb habe ich mich dann am Inselspital beworben.

Allgemein ist es so, dass man sich lieber zu früh als zu spät bewirbt. Die Stellen werden teilweise bereits früh vergeben, dies ist aber sicher vom Spital beziehungsweise der Klinik abhängig.

Wie war deine Vorstellung zum Thema Arbeitspensum? Hat sie sich verändert?
Grundsätzlich wollte ich immer 100 Prozent arbeiten. Mir hat die Arbeit trotz hoher Auslastung immer gut gefallen und ich fand es auf der Anästhesie gut machbar. Im Vergleich zu nicht medizinischen Jobs arbeiten wir natürlich auch in der Anästhesie eher viel. Es ist aber heute, insbesondere ab Stufe Oberarzt, weit verbreitet Teilzeit zu arbeiten. Die Anästhesie ist in diesem Punkt offener als andere Fachgebiete. Meine Planung sah vor, dass ich 100 Prozent arbeite und mir zwischen den Stellen Pausen einbaue. In der Anästhesie hatte ich gar nicht so sehr das Bedürfnis nach Pausen, da war meine Work-Life-Balance gut ausgeglichen.

Mit der Geburt meiner Kinder habe ich dann vorübergehend auf 80% reduziert. Im Voraus konnte ich mir nicht vorstellen, wie sich das anfühlt – im Nachhinein bin ich sehr froh, dass ich reduzieren konnte. Auch für die Zukunft kann ich mir erneut ein Teilzeitpensum gut vorstellen.

Wie ist dein Umgang mit der Soll-Arbeitszeit?
Auf der Anästhesie wird die 50-Stunden-Wochen eigentlich fast immer eingehalten, da wir durch den nächsten Dienst abgelöst werden ohne eine grosse Dokumentationswelle zu hinterlassen... Auf der Intensivstation ist eher die Intensität belastend als die Anzahl der Stunden. Auch hier habe ich zwar hin und wieder die Soll-Stunden überschritten, aber nicht extrem. Der Schichtbetrieb sorgt für zuverlässige Übergaben und auch die Nächte sind gut organisiert. Stundenmässig habe ich auf der Inneren Medizin am meisten gearbeitet.

Wie bringst du Freizeit, Familie und Beruf unter einen Hut?
Aktuell arbeiten wir beide, meine Partnerin und ich. Seit wir Kinder haben, ist alles ein wenig anders, ziemlich durchgetaktet. Wenn wir beide arbeiten, sind die Zwillinge in der Kita. Wir haben etwas Hilfe von aussen, machen aber das meiste selbst. Bei Bedarf springen Verwandte ein, mein Vater kümmert sich hin und wieder um die Kinder. Es ist ein 24-Stunden-Job, sieben Tage die Woche. Zeit für Hobbys haben wir aktuell wenig. Wir versuchen, uns gegenseitig Freiraum zu geben – dass sich mal einer alleine kümmert und sich der andere erholen kann, mal etwas ohne Kinder machen, Kollegen sehen. Manchmal schauen zwei Verwandte zu den Kindern, damit wir zusammen essen gehen können – das kriegen wir schon ab und zu hin.

Ohne Kinder war die Work-Life-Balance für uns gut. Wir kannten es auch nicht anders und waren es gewöhnt, viel zu arbeiten. Die Mediziner:innen, die ich kenne, sind fast alle echte “Arbeitstiere”. Das ist von Anfang an normal und man gewöhnt sich daran, wenig Zeit für Hobbys und anderes zu haben. Nur der Schichtbetrieb wird manchmal zum Problem, weil du arbeitest, wenn die anderen frei haben. Trotzdem: Ich würde alles wieder genauso machen, für mich stimmt es so.

Wo stehst du in 10 Jahren?
In 10 Jahren sehe ich mich als erfahrenen Herzanästhesisten an einem Universitätsspital.

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